Das Gestalten und Produzieren von Kinder- und Jugendbücher ist eine schöne aber auch eine verantwortungsvolle Aufgabe.


6. Fliege
00 JungAlt

Dazu einige Gedanken über 'entschärfte', so genannt kindergerechte Bücher.

Keinem einzigen meiner fünf Enkelkindern, nein keinem einzigen Kind möchte ich 'kindergerechte' und harmlose Geschichten zumuten. Dazu auch noch in einer 'kindergerechten' oder 'kindlichen' Sprache erzählt. Es gibt sehr viele Kinderbücher, die nur solche 'entschärfte' Geschichten erzählen, aus denen die Autorinnen und die Autoren allen Zorn, alle Niederlagen und alle Zerstörungen, also alles Negative entfernt haben. Weshalb eigentlich?

In solchen 'entschärften' Erzählungen wird dann der kleine Hase, der kleine Bär oder sonst ein niedliches Geschöpf, aus Neugierde sein behütetes Zuhause verlassen, um alsbald wieder frustriert zu seinen 'gütigen' und 'liebenswerten' Eltern zurückzukehren. Oder so ähnlich!

Kinder werden mit solchen Geschichten beleidigt, weil ihnen nichts zugemutet wird und weil dadurch die Kinder um die Wahrheit des Lebens betrogen werden. Es ist, als ob man Hänsel und Gretel, so sagt es auch Prof. Dr. Fulbert Steffensky, nur als Sonntagsausflug erzähle, ohne auf den Hunger und die Not der beiden Eltern einzugehen, ohne die Verstossung der Kinder, ohne den gefährlichen Weg durch den dunklen Wald und ohne Bedrohung durch die Hexe.

Das Leben ist auch für Kinder nicht immer nur einfach, und eine Befreiungs- oder Erfolgsgeschichte hat ihre Kraft und ihre Authentizität nur, wenn auch über die Bedrohungen und die Ängstigungen nicht geschwiegen wird. Kindern darf man keine heile Welten vorgaukeln, denn ihr jetziges und späteres Leben schont auch die Kleinen nicht. Selbst in der Familie wird im tagtäglichen Umgang nicht ausschliesslich im 'Schongang' gelebt. Jemanden vor der Wirklichkeit verschonen, heisst auch immer: ihn nicht richtig ernst nehmen.

Betrug aus Mitleid oder Unverständnis ist meistens auch das, was man kindgerechte Sprache nennt. Erzählende sollten die Sprache ernst nehmen. Die Sprache darf einfach sein, wenn man mit Kindern redet aber nur, indem man ohne komplizierte Verschachtelungen und ohne unnötige Abstraktionen auskommt. Eine Sondersprache für Kinder muss das noch lange nicht sein. Möglich, dass das Kind das eine oder andere aus einer Erzählung nicht versteht. Es wird dann auf seine Weise das ergänzen, was ihm fehlt. Hören Kinder Erzählenden zu, sind sie nie nur passiv Zuhörende, sie werden zu Mitgestaltern der Geschichte. Die Kindervernunft zergliedert die objektiven Inhalte einer Geschichte, filtert diese immer so, wie es diese für sich braucht. Über seine noch junge Vernunft baut das Kind beim Hören an seinem sich ständig erweiternden Weltbild. So sind zuhörende Kinder nie nur passiv und das müssen Erwachsene respektieren.

Ob ein Kind immer genau versteht, was erzählt wird, darum geht es nicht hauptsächlich, es geht darum, im Erzählen den Wissensraum zu öffnen und laufend zu vergrössern. Und so hat jede gute Geschichte auch immer etwas Fremdes und etwas nie ganz Verstehbares in sich. (Ist also nicht nur mund- und kindgerecht, ist nie fad wie ein Kinderbrei, der auch noch ohne zu widersprechen geschluckt werden soll).

Es gibt eine Zerstörung der Intelligenz und Neugier der Kinder durch Unterforderung oder Abschirmung die dadurch entsteht, dass ihnen nur zugestanden wird, was sie unmittelbar adaptieren können. Sicher gibt es die Gefahr dass Kinder rücksichtslos in die Erwachsenenwelt hinein gestossen werden, es gibt aber auch die Gefahr der Ausschaltung aller gesunden Neugier durch eine Überpädagogik. Darum sollen sogenannte Dialogsbücher das Gespräch zwischen Erwachsenen und Kindern vermehrt aufnehmen. Kinderbücher die nur gekauft werden, weil überforderte Eltern zwischendurch ihre Ruhe haben wollen, mit denen die Kinder also ruhiggestellt werden, gehören nicht in die Kinderstube ebensowenig wie ein Fernsehgerät. Jedes gute Kinderbuch sollte ein Dialogsbuch sein. Ein Buch durch das ein Kind zusammen mit der Hilfe seiner Eltern mehr über das Leben erfährt.


3. Fliege